Mittwoch, 30. März 2011

7. Monatsbericht

 "Durch die Projekte ¡ENTERATE! und ¡Yo sí puedo! konnten einer Menge Kindern der Weg zur Bildung ermöglicht werden. Früher gingen hier 60% der Kinder nicht in die Schule - jetzt sind es so viele, dass wir ein neues Gebäude brauchen."

„Perfekt“, denke ich, reiche Señor José Angel Altamirano Garcia die Hand, verabschiede und bedanke mich. „Du bist hier jederzeit willkommen! Magst du nicht noch zum Essen bleiben?“  Mit der Entschuldigung, dass ich noch weiter muss, lassen sie mich gehen, nicht aber ohne das Versprechen, wiederzukommen. Vielleicht könnte ich ja sogar eine seiner fünf Töchter heiraten und mit nach Deutschland nehmen.
Ich trete aus dem Bretterverschlag, in dem die komplette Familie samt Oma, Opa sowie deren Kinder und Enkelkinder leben und mache mich auf dem Weg zum nächsten Interviewpartner, immerhin 1 ½ Stunden Fußweg entfernt, ständig auf staubigen Schotterwegen in der Sommerhitze. Trotzdem ist der Dresscode lange Hose und Hemd, sonst wird man auf dem Dorf noch komischer angeschaut als ohnehin.

Interviews machen!

Damit hat mich die deutsche Chefin meiner hiesigen Partnerorganisation, der Cuculmeca, letzte Woche höchstpersönlich beauftragt. Interviews zum Thema „Wandel, die durch die Projektarbeit erzielt wurden“. Ihr kennt vielleicht diese Brot für die Welt-Plakate, auf denen auf der linken Hälfte ein kontrastarmes, tristes Bild einer indigenen Bäuerin, sowie auf der rechten Hälfte dieselbige lächelnd und mit farbenfrohen Kleidern abgebildet ist. So etwas mache ich jetzt auch, nur nicht für Plakate in Europa, sondern als Bereicherung der Projektberichte und der Website der Cuculmeca. Auch wenn die Arbeit sehr anstrengend ist und täglich gerne 10-12 Stunden in Anspruch nimmt, ist sie schön und motivierend – ich kriege aus erster Hand erzählt, was durch die mit Entwicklungshilfe finanzierten Projekte tatsächlich gebracht haben. Und das ist schon sehr eindrucksvoll. Zum Beispiel wurde in den Bergen ein durch den Hurrikan Katrina im Jahr 2005 zerstörtes Wasserversorgungssystem wieder aufgebaut - dessen Verwaltung jetzt ausschließlich den Gemeinden obliegt.
Andernorts wurde eine Kaffeekooperative gegründet, die 34 Familien ein stabileres Einkommen beschert - "Früher hat jeder für sich alleine gekämpft - jetzt kämpfen wir alle zusammen", meint der Kooperativenpräsident Luis Felipe Valdivia Centeno.


Ein Pinienwald, der im Rahmen eines
Wiederaufforstungsprogramms entstand
Insgesamt ist jedoch meiner Meinung nach die größte und wichtigste Veränderung der Mut, der den Menschen zugesprochen wurde. Der Mut, selbstbewusst für seine Interessen einzutreten, der vorher keineswegs selbstverständlich war. Im Gegenteil, viele Menschen, mit denen ich geredet habe, meinten, sie hätten Angst gehabt, auf die Regierung oder andere Institutionen zuzugehen - mit Hinblick auf die Vergangenheit Nicaraguas auch wenig verwunderlich.

Leider leidet unter dieser Arbeit meine selbstorganisierte Arbeitswoche, die ich ja im letzten Monatsbericht so stolz präsentiert habe – was ich jedoch in Kauf nehme, denn die Leute vor Ort wissen wohl besser, wo ich nützlich sein kann. Dazu gehören anscheinend mittlerweile auch zeitlich begrenzte Aufträge wie für Projektbesucher aus Europa Spanisch-Englisch und umgekehrt zu dolmetschen (was stundenlang wirklich unglaublich anstrengend ist – am Ende des Tages weiß ich gar nicht mehr, mit wem ich welche Sprache sprechen soll) oder Projektberichte in die jeweilige Landessprache zu übersetzen, wie zum Beispiel den für eine wirtschaftliche Zusammenarbeit im Rahmen von Kaffeekooperativen und anderen, lokal erzeugten landwirtschaftlichen Produkten für das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Vielleicht hat man eine Nische für mich in der Entwicklungsarbeit gefunden… im Bereich der Kommunikation.

Nach Feierabend ist die Arbeit aber längst noch nicht erledigt, wie dieses Video eindrucksvoll beweist. Wir wissen nicht wieso, aber die Viecher vermehren sich rasend schnell, was solche kriegsähnlichen Szenen, untermalt mit Star-Wars-Musik, mehrmals die Woche notwendig machen, dieses Mal in Manuels Zimmer.




Sonst verbringen wir unsere Abende auch mit durchaus noch ernsteren Themen. Beispielsweise feilen wir an Plänen, wie wir uns, im Rahmen unserer Möglichkeiten und Fähigkeiten, am besten für eine bessere Welt einsetzen können. Natürlich steht dabei an aller Anfang ein bewusster Konsum. Nicht nur von Lebensmitteln, sondern auch von geistlicher Nahrung. Dabei hört unsere Verantwortung als ‘denkende‘ Menschen meiner Meinung aber nicht auf. Ich übergebe das Wort an meinen Lieblingsvergewaltiger Julian Assange, der diesen Gedanken im Jahr 2007 sehr sehr treffend formuliert hat:

"Wenn wir Grips oder Mut haben, dann ist das ein Segen und wir sind berufen, diese Eigenschaften nicht zu vergeuden, indem wir mit offenem Mund die Ideen anderer begaffen, Weitpinkelwettbewerbe gewinnen, die Effizienz des neokorporativen Staates verbessern, oder uns in Obskuritäten verlieren, sondern stattdessen die Kraft unserer Talente gegen die stärksten Feinde der Liebe unter Beweis stellen, die wir finden können."

Es wird also viel diskutiert, gezeichnet, geschrieben, gehört, gelesen und geschaut auf unserer Dachterrasse. Dabei rufen wir uns stets ins Gedächtnis, dass diese verbleibenden Monate ungemein kostbar sind – möglicherweise werden wir uns jahrelang nicht mehr so vollkommen Dingen widmen können, die nicht unmittelbar mit unserer Existenz in Verbindung stehen.

Apropos Verbindung

März und Sasan… da war doch was…  ganz genau ;) Ich bin mittlerweile 20. Und durfte sogar dreimal feiern! Das erste Mal  mit Nessa im Skype um 17:00 Uhr Nicazeit am Tag davor, d.h. 24:00 Uhr in Deutschland, das zweite Mal um 24:00 Uhr Nicazeit mit einem sehr netten holländischen Paar in einer Bar und ein drittes Mal mit Freunden und Arbeitskollegen in der Cuculmeca am Abend des 11. März – mit kleinen kulturellen Einlagen aus jeder der in dieser Organisation vertretenden Nationen Nicaragua, Spanien Schweiz und natürlich Deutschland.

Da war sie schon ein bisschen zerrupft
Zunächst gab es ersteinmal eine Piñata. In Lateinamerika ist das die Attraktion auf jedem Kindergeburtstag - ich habe keine Ahnung, warum nicht auch in Deutschland, es macht nämlich Sauspaß. Die Teilnehmer kriegen nacheinander die Augen verbunden, werden mit einem Knüppel ausgestattet und dreschen so lange auf eine aus Zeitungs- und Crepepapier zusammengesetzte Puppe, die an einem Seil befestigt ständig in Bewegung ist, ein, bis diese platzt und ein Regen aus Bonbons auf den Boden prasselt.  

Die Nicas voll in ihrem Element


Getanzt wurde, ganz nach lateinamerikanischer Manier, natürlich auch, wobei jede Nation auch einen typischen Tanz vorführen sollte. Wir zeigten allen, wie man Walzer tanzt, die Spanierin ließ ihre Flamencokünste aufblitzen, die Nicas verkleideten sich und rieben sich wild aneinander und die Schweizer vollführten einen Volkstanz, den man auch noch nach 10 Kräuterschnäpsen auf die Reihe kriegt. 








Im Hintergrund nicaraguanisches Bier
Zu Essen gab auch aus jedem Land etwas verschiedenes. Wir hatten Berliner gebacken. Sehen vielleicht nicht ganz so wie Berliner aus :) aber das wissen ja auch nur wir. Lecker waren sie jedenfalls und wurden von allen Seiten sehr gut aufgenommen.
Aus der Schweiz gab es übrigens Käsefondue, aus Spanien Sangría und die Nicafraktion stellte Rum, Früchte und frittierte Tortilla mit Bohnenbrei und Salat.




Der Feier klang lautstark mit furioser Karaoke aus. Egal ob Nenas 99 Luftballons, Santanas Corazón Espinado, Maná oder Nicaraguas Musiklegende Luis Enrique Mejia Godoy - alles war vertreten.




Das war es diesmal auch schon mit dem Monatsbericht. Ein bisschen kürzer, vielleicht auch, weil mir der Monat so unglaublich kurz vorkam. Der nächste wird dafür umso opulenter, da mich Corin Freyer (ja, DER Corin Freyer) besuchen kommt und wir uns gemeinsam auf den Weg nach Guatemala machen… und wer weiß, wohin noch. Auf dass uns Montezumas Rache nicht heimsucht!

Mit den besten Grüßen nach Alemania,

euer Sasan




Lied des Monats ist diesmal etwas Nicaraguanisches, vom eben genannten Luis Enrique Mejia Godoy. In dem Lied geht es um eine junge Frau, die dachte, dass sie in Managua, der Hauptstadt Nicaraguas, der Armut entfliehen könnte. Stattdessen erwarteten sie Putzjobs, Prostitution und Drogenkonsum. In Nicaragua kennt und mag jeder dieses Lied, so steckt auch viel Wahres an der Geschichte. Viel Spaß beim Hören und Mitleiden.