Donnerstag, 1. September 2011

12. Monatsbericht - Abschlussbericht

"Hey, ihr da! Fliegt ihr mit Iberia nach Madrid?! Dann los, ihr seid die letzten, man sucht schon auf dem ganzen Flughafen nach euch!"

Unser Flieger in San José, Costa Rica


Und so verpassten wir um ein Haar unseren Flieger nach Europa – ein kleiner Tipp an zukünftige Reisende: Die Bildschirme auf den Flughäfen zeigen die Abflugzeit, nicht die Boardingzeit.





 Aber wie so oft in diesem Jahr war das Glück auf unserer Seite und es ist nochmal alles gutgegangen, sodass ich den ersten Teil meines Abschlussberichts, der von meinen Erfahrungen in Nicaragua handelt, hier und jetzt im Flugzeug schreiben kann, während der zweite einige Tage nach meiner Ankunft verfasst wird und meine ersten Eindrücke in Deutschland schildert.



Teil 1

Nicaragua


Wie kann ich euch denn am besten Nicaragua begreiflich machen? Mit Text? Mit Bildern? Mit Musik?
Am besten ein Mix von allem!
Und zwar in Form eines Knetfilms, den Manuel und ich in mühseliger Kleinstarbeit zusammengeschustert haben, auch mit Hilfe von Freunden und Verwandten, die während der Drehtage zu Besuch kamen. Der Film heißt „Malangasalat“, was eine Hommage an ein leckeres Essen ist, das wir erfunden haben. Im Grunde genommen ist es ein Kartoffelsalat, doch anstatt der Kartoffeln, bildet Malanga (eine weiße Wurzel mit lila Pünktchen) die Basis. Somit ist das Essen, wie auch ein Teil von uns, eine deutsch- nicaraguanische Komposition, interessant und auch ziemlich lecker.
Zugegebenermaßen ist der Film ohne Erklärungen etwas schwer zu verstehen, deshalb lest euch am besten unsere Gedanken zu einzelnen Aspekten des Films durch.




Die Charaktere


Schneemänner
Die Schneemänner sind natürlich wir. Weiß, groß und aus dem kalten Norden. Einen großen Klumpen Eis haben wir auch dabei, der unsere Fähigkeiten, Erwartungen und Vorstellungen darstellen soll, die wir aber schon kurz nach der Ankunft über Bord werfen sollten.

Das grüne Tier
Keiner weiß, was es wirklich ist, aber es ist auf jeden Fall unser Freund. Auch wenn es nicht viele waren, die ich auch noch nach Ende des Jahres als wirkliche Freunde bezeichnen würde, sie gibt es und wir werden sicher in Kontakt bleiben.


Die Barbies
Die Barbies sind die nicaraguanischen Gangster und aufdringlichen Mädchen, die uns ab und an das Leben schwer machten.

Die Nicas
Es ist keine Absicht, dass die Nicas im Film ein bisschen plump wirken – erst im Nachhinein ist uns aufgefallen, dass wir sie nicht sonderlich ästhetisch dargestellt haben. Das ist in Wahrheit nicht der Fall, ganz im Gegenteil. Auch deren Gesänge am Lagerfeuer sind nicht so auf die Nicas zu übertragen – sie sollen eher die Andersartigkeit der Kultur suggerieren. Wohl wahr sind jedoch die Affinität zum „Zusammensein“ und Tanzen!




Die Landschaft

Die Insel
Die Insel, auf der wir mehr zufällig als geplant landen, ist Nicaragua.

Die Vulkane
Wie ihr ja bereits wisst, ist Nicaragua von Vulkanen übersät, die uns Cheles ganz schön Angst einjagen können. Vulkane sind ja auch ziemlich heiß und wie das den Schneemännern bekommt, wird man sehen…

Der Plastikwald
Ihr müsst euch vorstellen, dass in Nicaragua wahnsinnig viel Plastik verbraucht wird. Für jeden Keks, den man in der Pulpería kauft, kriegt man eine Plastiktüte und wenn mal ein Deckel für die Suppe auf dem Feuer fehlt, wird auch gerne mal zur Plastikplane gegriffen. Dieses Phänomen hat uns am Anfang sehr erschreckt, deshalb ein eigenes Kapitel.

Die Früchte
Egal ob Orangen, Wassermelonen, Bananen oder Ananas - leckeres Obst findet man in Nicaragua alle Nase lang, das fanden auch die Schneemänner oberlecker. 

Die Handlung

Im Grunde genommen ist die Handlung nicht schwierig zu verstehen. Zwei Schneemänner kommen auf eine unbekannte Insel, machen tolle, prägende Erfahrungen, merken aber auch bald, dass sie sich dort nicht „zuhause“ fühlen. Dazu tragen viele Dinge bei (Hitze stellvertretend für Umgebung, Verständigungsprobleme mit den Nicas stellvertretend für Verständigungsprobleme mit den Nicas, …) und auch wenn es vieles gibt, das uns gut gefällt, sind wir uns doch im Klaren darüber, dass dies nicht unser Platz auf der Welt ist.


Eine Sache, die uns in Nicaragua aber wahnsinnig gut gefallen hat, ist deren Lockerheit im Umgang mit der Zeit. In Nicaragua läuft noch nicht alles „superoptimiert“, es ist auch noch mal Zeit für ein Gespräch zwischendurch, Zeit, um mit den Kindern zu spielen oder zu kochen. Arbeit steht nicht an erster Stelle. Das Buch Momo von Michael Ende behandelt genau dieses Thema und deshalb haben wir es uns „auf die Fahne geschrieben“, auch in Deutschland darauf zu achten, nicht allzu „optimiert“ herumzulaufen.

Leider geht der Trend in Nicaragua aber auch dazu, sich in dieser Hinsicht der westlichen Welt anzupassen. Dass dieser Wandel neben materiellem Wohlstand auch andere, negative Dinge mit sich bringt, ist den Nicas noch nicht so bewusst und deshalb haben wir während des Jahres Wert darauf gelegt, so oft wie möglich zu betonen, dass die Nicas eine Ruhe besitzen, die in Deutschland selten anzutreffen ist. Somit geben wir ihnen am Ende dieses Handlungsstrangs Momo wieder zurück!

Nun seht aber selbst!





Teil 2

Deutschland

Deutschland ist ein anderer Planet.
Menschen sind anders, Tiere sind anders, Pflanzen sind anders, Häuser sind anders, Essen ist anders, Sprache ist anders, … fast alles ist anders!
Ich glaube, ich habe mich sehr schnell wieder angepasst, aber wenn ich mir vorstelle, dass ein Nicaraguaner hierher käme, würde er aus dem Staunen gar nicht mehr herauskommen. Zunächst würden ihm vor allem das Erscheinungsbild der Menschen (vergleichsweise riesig, in sich gekehrt, wenig Interaktion), das Straßenbild (sauber, große Häuser, luxuriöse Autos, Stille), das Essen (ungewohnte Zutaten und damit komischer Geschmack) und die Hektik auffallen. Ich weiß nicht, ob es ihm auf Anhieb gefallen würde.



Integration
Als eine Art heimgekehrter Auswanderer erlaube ich mir, das vieldiskutierte Thema Integration aus einer völlig anderen Perspektive, als die, die wir gewohnt sind, zu beleuchten.
Nach einem Jahr Eintauchen in eine andere (aber nicht völlig andere) Kultur ist mir klar geworden, wie schwierig es ist, sich zu „integrieren“, so wie wir es von Einwanderern, die nach Deutschland kommen, erwarten. Dass man sich seiner ursprünglichen Kultur 1000x näher fühlt, als der des Gastlandes, ist mir jetzt so verständlich wie noch nie. Dass man sehr stark dazu neigt, sich mit Menschen zu befreunden, die ähnlich denken wie man selber (und das sind nun mal in 90% der Fälle Menschen aus dem eigenen Heimatland oder andere Länder, in denen die Kultur der eigenen ähnelt). Das bedeutet natürlich nicht, dass man sich als Einwanderer abschotten sollte, es macht es aber um vieles verständlicher.
Ich beispielsweise habe mich nicht besonders gut in die nicaraguanische Gesellschaft integriert, obwohl ich von mir behaupte, ein relativ offener Mensch zu sein. Sprachliche und gedankliche Barrieren machen es wahnsinnig schwer, in einer anderen Kultur wirklich mitzuwirken. Oft saß ich mit Manuel auf unserer Dachterrasse, wir hörten Musik und plauderten für uns, obwohl ein Stockwerk tiefer die Familie zusammen Fernsehen geschaut hat. Ein Gespräch in der Tiefe herzustellen, wie man es mit einem Europäer gewohnt ist und in dem beide Gesprächspartner auf ihre Kosten kommen, ist tricky.

In der Muttersprache fühle ich mich nach wie vor um einiges wohler, es ist die Sprache meiner Gefühle, die ich brauche, um das nuanciert auszudrücken, was ich gerne ausdrücken möchte. Und das fühlt wohl ein jeder Mensch auf der Welt, ganz gleich ob die Muttersprache Deutsch, Spanisch oder Usbekistanisch ist.


Ein großer Unterschied zwischen mir und südländischen Einwanderern in Deutschland ist aber noch, dass ich in einer ganz anderen Position nach Nicaragua kam. Als weißer chele war ich von Anfang an interessant, begehrt und gern gesehen. Diese Wahrnehmung haben glaube ich nur sehr wenige Einwanderer in Deutschland. Voreingenommenheit oder gar Rassismus spielen also der erfolgreichen Integration, sprich ein Umfeld, in dem es möglich ist, dass verschiedene Kulturen Dinge miteinander teilen können, natürlich nicht gerade in die Karten.
Ich sehe die oft geforderte „totale Integration“ nun jedenfalls in einem anderen Licht; wenn ich später in einem anderen Land leben sollte, werde ich mit Sicherheit meinen Kindern meine Muttersprache sowie die deutsche Kultur beibringen. Die Erwartungen mancher Menschen, dass Einwanderer ihre Identität wie einen Pulli bei der Einreise ablegen sollten („die sind ja jetzt in Deutschland, dann sollen sie sich halt auch so verhalten!“), ist demnach völlig realitätsfremd und stammt in den allermeisten Fällen von den Leuten, die selber noch nie die westliche Welt für einen längeren Zeitraum verlassen haben.
Ich will damit nicht sagen, dass Immigranten das Recht eingeräumt werden soll, sich vom Rest der Gesellschaft zu isolieren. Im Gegenteil, ich fordere auch Offenheit und "Integrationsbereitschaft", möchte aber, dass ihnen mehr Verständnis anstatt von Ignoranz entgegengebracht wird.


Das wäre schön!




Und was kommt nun?
Nach kurzer Verschnaufpause in Kassel geht es für mich auch schon wieder weiter. Ich migriere nämlich nach Hamburg, wo ich einen Studienplatz für Medizin hab und auf den ich mich schon sehr freue. Ich glaube, es wird sehr kräftezährend, ich bin aber guter Dinge, dass ich dem einiges entgegenzusetzen habe.
Unterstützen in diesem Vorhaben wird mich mein bester Freund seit Sandkastengedenken, the legendary „Busenharry“ Yasin Aktepe, den es auch nach Hamburg verschlagen hat und mit dem eine WG gegründet wird. Ich bin wahnsinnig froh, dass ich mich dieser Aufgabe nicht alleine stellen muss.

Schlusswort

Was das ursprüngliche Motiv des Auslandsjahres, die Arbeit, betrifft, kann ich abschließend sagen, dass ich nicht zufrieden bin mit dem, was ich erreicht habe. Ich konnte mich nicht so sehr helfend in die nicaraguanische Gesellschaft einbringen, wie ich es mir gewünscht hätte. Englischunterricht, Projektauswertung, Behindertenbetreuung hin oder her, das war nicht der große Sprung.
Trotzdem bin ich nicht enttäuscht, ich sehe  die realisierte Arbeit vielmehr als Rechtfertigung für meinen kostenintensiven, umweltschädlichen, … Aufenthalt, der mir aber viel mehr gebracht hat als den Nicaraguanern.

Ich habe das Gefühl, einen Riesenschritt gemacht zu haben.
Mein großes Ziel für dieses Jahr, mir etwas näher zu kommen, mich besser einschätzen zu können, erhabener und selbstbewusster zu sein, dieses Ziel habe ich erreicht. Noch nicht abschließend, aber dem Großen auf der Spur.

Somit muss ich all meinen lieben Spendern verkünden, dass sie das Geld im Endeffekt eher in mich und meine persönliche Entwicklung investiert haben als in Lateinamerika. Das war nicht so gewollt, jedenfalls nicht so einseitig.
Vielleicht habe ich in einigen Jahren einmal die Möglichkeit, als Arzt zurückzukehren und etwas zurückzugeben.

Bis dahin müssen wir aber auf anderem Wege Kontakt halten, denn mit diesem letzten Blogeintrag endet meine zwölfmonatigen Berichterstattung. 
Vielen Dank nochmal an alle Interessierten aber vor allem an meine großartigen Spender – ihr habt handfest dazu beigetragen, dass ich bin, was ich jetzt bin – ihr seid meine Shareholder!

Mit den großartigsten Grüßen
Euer Sasan




Das letzte Lied des Monats ist swingig, gut gelaunt, aber auch ein bisschen traurig – so fühle ich mich auch im Moment.





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