Wer will ein schönes Fleckchen Erde sehen?
Semuc Champey, ein Naturreservat im zentralen Guatemala |
Der kann nach Guatemala gehen. Und das haben wir getan!
Zwischen dem letzten Monatsbericht und dem Reiseantritt vergingen aber immerhin noch 1 1/2 Wochen, die auch nicht ereignislos verliefen...
Der Tag des Buches
Manuel beim Kinderschminken |
Manuel, die Bibliotheksleiterin und ich hatten uns zum Ziel gesetzt, den Arbeitern der La Cuculmeca und ihren Kindern die Wichtigkeit des Lesens ans Herz zu legen und auf dabei auf die kostenfreie, aber nie, wirklich nie besuchte Bibliothek aufmerksam zu machen. Dafür wurde die Bibliothek geschmückt, Möhren-Bananen-Schokokuchen gebacken, Informationsmaterial herausgesucht, angefragt, organisiert, … alles in allem viel mehr Arbeit als erwartet. Der Erfolg war aber mehr als entlohnend: Über 50 Kinder kamen, neben einer Menge Arbeitern der La Cuculmeca und es wurde ein ganzer Nachmittag mit Tanz- und Malwettbewerben, einer Schatzsuche, Vorlesungen und Schminken gefüllt. Selbst ein aus Jinotega stammender Dichter kam und gab ein paar Kostproben seiner Poesie zum Preis. Und mit finanzieller Unterstützung eines Bildungsprojekts wurde sogar Eis mit Wackelpudding (Killer-Kombo) für alle ermöglicht!
Am nächsten Tag fiel dann der Startschuss, ich fuhr in die Hauptstadt, um letzte Vorbereitungen zu treffen und den freudig erwarteten Gast am Flughafen in Empfang zu nehmen. Besagter war übrigens nicht Corin – wir Dussel hatten nämlich vergessen, dass er nach den Osterferien wieder zurück in die Schule muss… sein Kommen war somit ein Ding der Unmöglichkeit. Im Nachhinein hat sich diese Tragödie aber als ein glückliche Wendung des Schicksals herausgestellt, da Corin die erste Woche nach den Ferien so krank im Bett lag, dass er weder das Haus verlassen, noch Anrufe entgegennehmen konnte… nicht auszudenken, wenn er in dieser Zeit in Zentralamerika rumgehüpft wäre.
Niroc beim Angeln. Die Angelschnur ist an seinem Zeh befestigt |
Gott sei Dank war es aber möglich, das Flugticket auf Niroc, anderer Freund von mir und obendrein ruchloser Schulschwänzer, umzubuchen.
Kurz und knapp: Niroc kam, Corin blieb und die Reise wurde fabulös.
Hin und wieder zurück.
Nicht viel mehr als 24 Stunden nach Nirocs Landung in Managua saßen wir auch schon im Bus nach Guatemala City, die uns das erste Mal den Atem verschlagen ließ. Riesige, neue Autos, Glas- und Stahlfassaden, alle Nase lang ein Fast-Food- Restaurant – man fühlte sich wie in den Vereinigten Staaten. Auch die Panorama Glasfront der Wohnung einer bereits erwachsenen Tochter meiner Gastmutter aus Jinotega, die in Guatemala City ihren Traummann gefunden hat und bei der wir unterkommen konnten, vermochte diesen ersten Eindruck nicht zu ändern. Zu Abendessen gab es übrigens Raclette in einem Schweizer Restaurant, was sonst.
Es war schon ein verrücktes Gefühl, nach neun Monaten Wellblechdach und stinkigen, alten Rostlauben, die wild hupend auf dem Feldweg Staub aufwirbeln in eine Großstadt katapultiert zu werden, die es zumindest in manchen Stadtteilen locker mit westlichen Großstädten aufnehmen kann. Und irgendwie habe ich es auch genossen.
Wie aus dem Nichts tun sich mitten im Urwald riesige Pyramiden auf, die die Maya vom 6. bis ins 9. Jahrhundert hinein gebaut hatten |
Aber trotz allem haben wir uns beide nicht in dieser Stadt gesehen, weshalb die Entscheidung, wieder bald aufzubrechen, nicht schwer fiel. Ziel sollte der Norden sein, Richtung Mexiko, wo einige schöne Seen liegen sollten – und die Mayatempelruinen von Tikal, die es auch wirklich in sich hatten.
Insgesamt versuchten wir aber, tourtistische Hochburgen zu vermeiden. Wir legten viel Wert darauf, für uns zu sein, zusammen zu Angeln, das Land zu erleben und Spaß zu haben. Wir verbrachten lieber 3 Tage an einem Ort, als nach einer Nacht schon weiterzuziehen. Und wenn wir Lust auf ein Eis hatten, dann haben wir uns das auch gekauft. So wie in diesem Fall:
Wenn man so lebt, fliegen einem die Dollars aber leider auch förmlich aus der Hand. Deshalb ist Omas Vermächtnis auch fast schon aufgebraucht – stört mich aber gar nicht, denn besser kann ich das Geld meiner Meinung nach sowieso nicht verwenden.
Saka-ric, hosa wach?
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Frauen in der völlig selbstverständlichen Tracht, auch viele Männer kleiden sich ähnlich |
Guatemala selbst befindet sich meiner Meinung nach in einem noch krasseren Zwiespalt zwischen Globalkultur und Tradition als Nicaragua. Während man hier bereits angehimmelt wird wenn man Englisch spricht und eine Levis-Jeans trägt, wird in Guatemala immerhin noch Wert darauf gelegt, indigene Trachten zu tragen und jeweilige Sprache zu sprechen (wie in der Überschrift, die auf der einer Mayasprache so viel bedeutet wie „Hi, wie geht’s“).
Teakholz landet nicht im Armaturenbrett von Luxuskarossen, sondern in Form von Feuerholz auf dem Grill. |
Richtig nervig ist, dass Guatemala touristisch schon viel weiter entwickelt ist als Nicaragua. Das heißt zum Beispiel, dass man als Ausländer überall mindestens das 5-fache vom Preis bezahlt, den die Einheimischen zahlen. Und das nach 10 Minuten Verhandlungen.
Die Menschen wittern ihre Chance und wollen was vom Kuchen abhaben, das kann ich verstehen. Lügen rechtfertigt dies aber noch lange nicht.
Der Vulkan, auf den genau in diesem Augenblick ein Regenbogen fällt |
Die letzte Woche verbrachten wir dann noch in Nicaragua, aus vielerlei Gründen. Highlight dort wurde die Besteigung des aktiven Vulkans Concepción (1700m), der zwar anstrengend, aber mehr als lohnend war. Es ist ein wahnsinniges Gefühl, wenn über einem eiskalter Wind pest und unter einem die Erde so heiß ist, dass man sich fast verbrennt.
Viel wichtiger als unsere Reiseziele empfand ich aber unsere Gespräche. Mit Niroc konnte ich mich zu fast allen Themen auf einer Wellenlänge unterhalten und dabei bin ich auf Erkenntnisse gekommen, die ich als wertvoller empfinde als jeden gesehenen See, Ruine oder Vulkan. Einige davon möchte ich gerne mit euch teilen, vielleicht bringen sie euch ja auch weiter.
Spiritualität
Früher erachtete ich mich als durch und durch rationalen Menschen. Was ich nicht sehen/fühlen/schmecken konnte, gab es für mich nicht. Deshalb erschien mir jegliche Form von Spiritualität als lächerlich, ich dachte, ein denkender Mensch bräuchte so etwas nicht, alles Humbug. Warum aber kann es nicht sein, dass außerhalb meiner Wahrnehmung etwas existiert? – der Raum, in dem wir uns bewegen und Dinge benennen können, ist ja begrenzt durch unsere Sprache. Jeder hat sich ja bestimmt schon einmal gewundert, wenn er ein Gefühl beschreiben wollte, was aber nicht in Worte zu fassen war. Was ich damit sagen will: Es gibt viel viel mehr, als wir glauben, dass es gibt. Und nur weil ich oder du das nicht bemerken/ fühlen/ ausdrücken können, heißt das noch lange nicht, dass es das nicht gibt. Ich würde nicht sagen, dass ich plötzlich spirituell geworden bin, wohl aber, dass ich mir nun im Klaren bin, dass es viele Dinge gibt, die wir zwar nicht benennen geschweige denn beweisen können (beweisen ist in unserer Gesellschaft ja wahnsinnig wichtig), die aber trotzdem einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf uns und vor allem unsere Beziehungen haben.
Was das für die Praxis bedeutet? Zum Beispiel, dass ich, wenn nun ein Krankenwagen mit Sirene an mir vorbeidüst, dem Verunglückten gute Gedanken schicke. Ich bin mir sicher, dass das hilft, unabhängig davon, ob ich die verunglückte Person/ Unglücksursache/ behandelnden Arzt nun kenne oder nicht. Beweisen lässt sich diese Wirkung zwar nicht, das ist mir aber egal.
Verschanzung in Gedanken
Niroc hat mich glücklicherweise darauf aufmerksam gemacht, dass man sich manchmal in der eigenen Gedankenwelt verschanzt. Dann kann man weder vor, noch zurück, man wird traurig, vielleicht sogar depressiv. Dann braucht man jemanden, der einen von diesen Fesseln löst, einen darauf aufmerksam macht, dass er sich gerade verschanzt hat. Ein einfaches Beispiel:
Viele Menschen denken sich bestimmt, dass Massentierhaltung eigentlich nicht okay ist. Sie finden es ekelhaft und respektlos, wie mit Leben umgegangen wird. Gleichzeitig denken sie sich aber, dass sie, als Billigfleischboykottierer, praktisch nichts gegen diese Praxis unternehmen können, nach dem Motto „Was nützt es, wenn ich mein Fleisch nicht mehr im Supermarkt kaufe, dann kaufts halt irgendein anderer Depp oder es wird wohlmöglich sogar weggeworfen. Wem ist damit geholfen?“ Ich finde diesen Gedankengang völlig richtig.
Man wird praktisch nichts an der Massentierhaltung ändern, wenn man sie nicht durch den privaten Konsum unterstützt. Und schwupps, da hat man sich in einer in sich logischen Gedankenwelt verschanzt und festgefahren. Dieser Mensch kauft nun sein Leben lang Fleisch im Aldi – was aber bescheuert ist und nicht sein muss!
Ich glaube, dass wenn man sich dieser gedanklichen Verschanzung bewusst ist, es einem viel leichter fällt, sich daraus zu befreien. Vielleicht hast du, lieber Leser, dich auch irgendwo verschanzt. Oder ein Freund von dir. Mach es ihm oder dir klar, dann ist möglicherweise einem oder vielen geholfen.
Glück
Wenn ich mir mal ernsthaft über meine Lebenssituation Gedanken mache, fällt mir auf, dass es mir unglaublich gut geht. Eigentlich läuft alles perfekt! Ich bin gesund, habe eine atemberaubend tolle Familie, wunderwunderwunderbare Freunde, wiege mich in materieller, gesundheitlicher und emotionaler Sicherheit, sehe nicht zu gut und nicht zu schlecht aus – ich muss zu den glücklichsten Menschen der Welt gehören. Und damit sich daran etwas ändert, müsste mir schon der Himmel auf den Kopf fallen - sehr unwahrscheinlich. Und eben diesen Auftrieb, diesen riesigen positiven Energieüberschuss strahle ich ungewollt ab, in Form von Fröhlichkeit. Natürlich habe ich auch meine Sorgen, aber wenn man diese im Gesamtzusammenhang sieht, wiegen sie nichts.
Das waren einige Gedanken, die mir zurzeit durch den Kopf gehen. Wahrscheinlich werde ich in 6 Monaten wieder völlig anders darüber denken, aber so ist es nun einmal, alles ist in Bewegung. Hoffentlich werde ich zu diesem Zeitpunkt dann in Freiburg oder Berlin sitzen und über Biologiebüchern brüten, denn dort habe ich mich für das Medizinstudium beworben und bin guter Dinge, dass das auch klappt. Vorfreude ist jedenfalls schon im Übermaß vorhanden, ich brenne förmlich drauf :-)
In weniger als 3 Wochen melde ich mich ja auch schon mit dem nächsten Monatsbericht wieder, dann wieder zu einem Sachthema.
Mit vielen positiven Gedanken, die sicherlich auch ankommen!
Euer Sasan
Lied des Monats ist diesmal Beethovens "Ode an die Freude", vielen bestimmt besser bekannt als die Musik zu "Freude Schöner Götterfunken" von Friedrich Schiller. Das Lied und auch den Text finde ich ganz toll. Wer Lust hat mitzusingen, kann das mithilfe des folgenden Links:
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