Sonntag, 29. Mai 2011

9. Monatsbericht

 „Es gibt keine nicaraguanischen Restaurants in Deutschland? Dann eröffne eins und du wirst reich!“

Ich nicke und lächele gequält, während mir meine Gastmutter einen großen Teller auftut. Manuel, der auf einem Küchenstuhl sitzt und gerade ein Buch liest, schaut auf und grinst mich vielsagend an. Ich nehme den Teller in Empfang, in dem faustgroße Wurzel-, Kürbis- und Knochenstücke schwimmen – 2 ½ Stunden gekocht und mit einem Fettauge, das mich anstiert und sagt "Du gehst auf wie ein Hefeklos".

Das ist die ‚sopa de res‘, die Rindfleischsuppe, wie ihr aus der Wortwahl wohl entnommen habt, nicht gerade mein nicaraguanisches Lieblingsgericht. Allgemein freue ich mich nach 9 Monaten schon wieder sehr auf die heimatliche Küche – ich hätte nicht gedacht, dass Essen mir so viel bedeutet.


Essen als kulturelle Identifikation

Nicaraguanische Tortillas
Dass Essen ein wichtiger Teil der Kultur ist, wird ja wohl niemand bestreiten. Überall auf der Welt sind die Menschen stolz auf ihr Essen, so auch in Nicaragua. Für meinen Geschmack etwas zu stolz, gemessen am Ausmaß seiner Gaumenfreuden. Tatsächlich werden hier fast ausschließlich die traditionellen Grundnahrungsmittel, allen voran Mais, zelebriert – einfach nur gemahlen und gebraten (in Form von Tortilla), frittiert (Nachos), gebacken (als Küchlein und Keks), oder auch gekocht (Tamales). Leider hat der Mais hier (nicht mit dem Zuckermais aus Deutschland zu verwechseln) die Eigenschaft, nach nichts Besonderem zu schmecken, man würgt es eher runter um die Mahlzeit ein wenig zu komplettieren. Die Nicaraguaner hingegen können sich ein Essen ohne Tortilla gar nicht vorstellen und machen ungläubige Gesichter, wenn man ihnen erzählt, dass man in Deutschland nicht einmal Maismehl findet.

Hunderte Bananen am Wegesrand? Na die lass ich mir doch
nicht entgehen.
Ein anderes Grundnahrungsmittel hier ist die Banane, die auch wirklich in rauen Mengen vorhanden ist. Auf dem Land lohnt es sich nicht einmal, Bananen zu verkaufen, da jeder mehrere Bananenbäume im Garten stehen hat – und da diese mehrmals im Jahr austreiben, ist eigentlich ständig für Nachschub gesorgt. Trotzdem essen die Menschen hier die Bananen oft noch unreif, was mich verwundern ließ und zum Nachfragen bewegte, weshalb sie die Bananen nicht einfach noch zwei Wochen reifen lassen, denn dann würden sie ja viel besser schmecken. Die Antwort kam für mich wie aus einer anderen Welt: 
„Du hast Recht, aber wir wollen nicht in zwei Wochen essen, sondern jetzt!“

Es geht hier also teilweise viel weniger darum, was, sondern dass es zu Essen gibt.

Dieses eigentlich völlig natürliche Problem ist bei uns im Westen vollkommen überholt, oder wann hast du das letzte Mal eine unreife Frucht gegessen, weil du so sehr Hunger hattest?


Fett ist gut.

Diejenigen, die genügend Geld verdienen, als dass sie sich keine Sorgen mehr um ausreichend Nahrung machen brauchen (deren Anteil ich auf immerhin 70% der Gesamtbevölkerung schätze), hat aber anscheinend Probleme, den Unterschied zwischen ausreichender Ernährung und Überernährung zu erkennen. Anders kann ich mir nämlich nicht erklären, weshalb die Nicaraguaner so viel Öl/ Schmalz/ Sahne/… in ihr Essen kippen. Kippen ist bei 2l Öl, das innerhalb von drei Tagen (wie es in meiner Gastfamilie der Fall ist) verbraucht wird, auch wirklich das richtige Wort.
Das Ergebnis ist, dass auf der Straße zumindest jede dritte Frau übergewichtig ist, was man im zweitärmsten Land Lateinamerikas nicht unbedingt erwarten würde. Ich denke aber, dass man in diesem Fall nicht nur die Verbraucher für ihr Konsumverhalten verantwortlich machen kann, denn die Medienpräsenz und Erreichbarkeit von ungesunden, fettigen, zuckrigen und oft auch noch günstigen Produkten ist enorm. Beispielsweise kostet ein Pfund tiefgefrorenes Hühnchen, das mithilfe von Zucht in 21 Tagen vom Küken bis zur schlachtreifen Henne herangewachsen ist, lediglich 60 Cent.

Man kann erwarten, dass Menschen in Deutschland checken, wie widerlich das ist. Aber so weit ist Nicaragua noch lange nicht.


Man ist, was man isst.

Natürlich, was denn sonst. Wenn man verunreinigtes Benzin in einen Motor schüttet, wundert man sich ja auch nicht, wenn man auf der Strecke liegen bleibt. Deshalb ist die Ernährung meiner Meinung nach eins der wichtigsten Dinge im Leben.
 Dass mithilfe einer gesunden Ernährung die Risiken für Bluthochdruck, Diabetes, Herz- Kreislauferkrankungen, Allergien, … signifikant sinken will ja schon fast keiner mehr hören. Dass Ernährung aber auch einen großen Einfluss auf unser Äußeres (Haut, Haar, Nägel, …) und sogar auf unseren Körpergeruch hat, wissen schon weniger Menschen. Und dass alltägliche Haushaltsgegenstände aus Plastik teilweise so stark Bisphenol A (erkennt der Körper als Östrogen) ausdünsten, dass es stark im Verdacht steht, Hormonschwankungen mit allen seinen Folgen (z.B. Brustbildung bei Männern, Übergewicht bei Frauen) herbeizuführen, wissen nur die Allerwenigsten.

Ich bin sicherlich kein Fan von angeblich „wissenschaftlichen“ Studien, die so etwas „belegen“. Trotzdem wäre es doch interessant zu wissen, was das Plastik, das einen Großteil unserer Lebensmittel umhüllt, unter Hitze-, Sonnenstrahlen-, Säure- und manchmal sogar Spülmitteleinfluss so von sich gibt. Und das weiß bis auf den (wenn überhaupt) Hersteller, der meist aus dem ostasiatischen Raum stammt, niemand – am allerwenigsten die Nicas, die, falls der Topfdeckel mal nicht zur Hand ist, gerne einmal eine Plastiktüte auf die kochende Suppe legen.


Zu negativ bisher

finde ich den Monatsbericht. Deshalb kommt jetzt noch etwas Schönes. Und zwar ein leckerer Speiseplan von nicaraguanischem Essen, das auch ganz schmackhaft sein kann! Je nachdem, wie nahe du mir stehst, würde ich mich freuen, dir nach meiner Rückkehr das eine oder andere Gericht „vorzukochen“. Mal schauen wer sich traut ;-)


Frühstück


Ein leckeres nicaraguanisches Frühstück besteht traditionell aus einer frisch gekochten Bohnensuppe, die einem sehr viel Kraft für den Tag geben soll – dabei muss das Kochwasser unbedingt mitgelöffelt werden. Dazu gibt es saure Sahne, ein gebratenes Ei und dampfende Tortillas. Als Getränk gibt es stark gesüßten, schwarzen Kaffee vom Strauch um die Ecke, der pulverisiert einfach in Wasser gekocht und dann abgeschöpft wird. Wer keinen Kaffee mag, wird erstmal komisch angeguckt, kriegt dann aber ein Glas voll Haferflocken in Wasser, was mit etwas Zucker unerwartet gut schmeckt.


Mittagessen

Mittags könnte es Nacatamales geben. Das ist Maismehl, das mit viel Fett, Tomatensauce, Schweinefleisch und verschiedenen Gewürzen, in ein Bananenblatt gewickelt, stundenlang auf dem Feuer köchelt. Danach kann man das nun feste Paket auspacken und wegschlemmen. Dazu gibt es Fruchtsäfte aus Orange, Limone, Ananas, Drachenfrucht, … und vielen anderen tropischen Gewächsen, deren deutsche Namen ich nicht kenne. Schmecken aber alle fantastisch.


Abendessen

Drachenfrucht
Wer abends immer noch Hunger hat, kriegt Gallo Pinto, d.h. Bohnen mit Reis, knusprig gebraten, mit Cuajada (ein einfacher, leicht salziger Käse) und karamellisierten Bananen serviert. Getrunken wird wieder Kaffee oder die hier unheimlich beliebte, günstige und nur nach Zucker und Farbstoff schmeckende Rojita, eine Limonade, die von Ausländern, einmal probiert, gänzlich gemieden wird. 


Probiert haben muss man sie aber.

Als Betthupferl gibt es noch ein paar Buñuelos, sowas wie Berliner nur saftiger da mit Frischkäse, in reichlich Honig gewendet.

Und wer jetzt noch nicht geplatzt ist, kriegt entweder Wassermelone (die hier auch wächst und deshalb im Vergleich unschlagbar günstig ist – ca. 10 ct/ kg) oder frittierte Schweineschwarte, die aber ein bisschen zäh und sobald man darüber informiert wurde, was man da gerade ist, auch nicht mehr soo lecker ist.


Alles in allem ist die nicaraguanische Küche aber ziemlich grob – das meiste wird ohne Rücksicht auf Verluste stundenlang weichgekocht. Ich muss sagen, ich bin nicht der größte Fan. Gewürze gibt es hier bis auf Salz, Zucker, Chilischoten und Koriander so gut wie gar nicht.

Ich freue mich also schon wieder wahnsinnig auf echtes Brot, guten Käse, Joghurt/Quark, Beeren, Kuchen (selbst Mamas PENG-Teig Erdbeerkuchen), Obst, Pilze, einfache Gewürze wie Oregano, Thymian, Basilikum, … und und und. Deutschland hat echt mehr zu bieten als man glaubt. Und das merkt man leider erst, wenn man nicht da ist.


Ich wünsche euch allen einen fulminanten Start in den Sommer,
Sasan


Lied des Monats ist im Monat Mai 'Strawberry Fields' von den Beatles, die ich hier ziemlich viel höre. Und passend zum Thema ist es dazu :o)




3 Kommentare:

  1. Hey Sasan. Ich hab dich ganz dolle lieb:)

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  2. Also ich hätte gerne eine nica-Speise von dir ^^

    ja, das böse Plastik. Immerhin trinke ich nicht mehr aus PET-Flaschen. Habe jetzt extra immer einen eigenen Kasten mit Glas-Flaschen und die anderen der family trinken weiter aus Plastik.
    Auch Flüssigseife kann ich nicht mehr benutzen, zu viele weichmacher drin...
    Also mit nicht mehr benutzen können, meine ich wirklich, dass ich mich davor ekele. Dass PET in der Hand zu halten ein schreckliches Gefühl mittlerweile für mich ist. ALs würde ich spüren wie die Schadstoffe in meine Haut gelangen...
    so.. das dazu..
    also merk dir gut die rezepte... und freu dich auf die Küche, denn bestimmt musst du jetzt allen was kochen :p

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  3. Sasi, Ironie des Schicksals:
    Heute gab es gleich zwei Erdbeerpengkuchen mit ein paar Heidelbeerchen. Und wenn du noch mehr maulst über das Essen, dann fängt Mami schon Mitte August an, für dich zu backen!;)

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